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Wanderung auf dem GR 20 durch Korsika
Juni 2014
Bilder und Text Klaus Goerschel
Teilstrecke 2
Canaglia, (Tattone) Bergerie Tolla -Calenzana
7 Wandertage, 78 km
10. Wandertag 6 km + 6 km
Mittwoch 18.6. Canaglia (Tattone) - Bergerie Tolla – Petra Piana
8 Uhr fuhr ich von Ghisoni nach Tattone. Von dort wollte ich zur Bergerie Tolla und zur Refuge Petra Piana laufen.
Unverhofftes Wiedersehen! Die Chefin von der Refuge „Chez Pietro“ erkannte mich gleich wieder. Sie brachte mich freundlicherweise nach Canaglia.
Der Morgen ist klar und sonnig und so marschierte ich in bester Stimmung und guter Form 10 Uhr von Canaglia los Richtung Bergerie Tolla. Der Wetterbericht sagte auch für heute noch Regen voraus, aber nicht mehr unwetterartig und auch erst für heute Nachmittag. So hoffte ich, in der Piana Hütte rechtzeitig Unterschlupf zu finden.
11.30 Uhr erreichte ich ohne Mühe die Bergerie Tolla. Der Belgier erkannte mich sofort wieder und riet mir, den Wasserfall unbedingt vor dem Regen zu passieren.
Ich hielt mich nicht lange in der Bergerie auf, trank einen Kaffee und marschierte kurz vor 12 Uhr weiter. Der Pfad verlief sehr angenehm durch lichten Wald im Tal des Manganello. An Wasser herrschte fürwahr kein Mangel. Überall quoll und rieselte es. Sorge machte mir nur das Wetter, denn der Himmel bezog sich mit dunklen Wolken.
Noch bevor ich den Wasserfall erreichte, fing es an zu regnen. Erst in dicken Tropfen, dann aber dieser typisch durchdringende Regen, wie man ihn in den Wolken selbst erleben kann.
Trotz Regenschirm wurde ich nass. Die Hände wurden kalt und steif. Der Wasserfall führte hohes Wasser, dennoch konnte ich ihn nicht ohne Risiko über die Steine springend passieren. Unangenehm war die Nässe auf dem Gestein. Es bestand akute Rutschgefahr. Mit dem Regenschirm in der einen Hand und einem Stock in der anderen quälte ich mich hoch konzentriert den steilen Berg zur Piana Hütte hinauf.
15.30 hatte ich es geschafft. Aber hier oben war die Hölle los. Erst drängten sich die Menschen in dem winzigen Verkaufsraum. Dann verjagten die Betreiber uns, weil sie den Platz selber brauchten und rieten uns in der Küche, in der auch die Schlafunterkunft war, Schutz zu suchen. Die pudelnassen Leute drängten nun in die Küche, die sich bis zum Bersten füllte. Auch ich, nass wie ich war, presste mich mit dem Rucksack in der Hand noch hinein. Es war so eng wie in einer überfüllten Straßenbahn. Doch es war warm und trocken. Ich erholte mich etwas und konnte meine Finger wieder bewegen. Ein Mann kochte Tee mit immer dem gleichen Beutel auf und die heißen Tassen machten die Runde. Nach einer knappen Stunde war auch die Steherei hier unerträglich und ich ging zur Rezeption um nach einem Zeltplatz zu fragen. Ein junger Mann riet mir ein Wurfzelt zu leihen. Das wäre am schnellsten aufgebaut. Ich nickte und er drückte mir für 10 EUR ein Paket so rund wie das Rad einer Mountainbikes und eine Liegematte in die Hand. Draußen im Regen zeigt er mir auch die Richtung, wo ich einen Platz finden könnte. Ich tigerte los und tatsächlich fand ich eine einigermaßen gerade Stelle. Neugierig löste ich den Schnappverschluss und dann gab es einen kleinen Knall und ein passables 2 Mann Zelt stand aufgebaut vor mir. Ich brauchte es nur noch auf den richtigen Platz rücken, die Matte reinschieben und 2 Nägel in den Boden drücken und die Sache war erledigt.
Ich war begeistert, schob schnell meinen Rucksack hinein und mich hinterher. Es regnete laut auf das Zelt, doch ich war im Trockenen, hatte sogar meinen Rucksack neben mir, lag auf der Matte und konnte mein Glück kaum fassen.
Kaum war ich etwas erholt, zog ich die nassen Sachen aus und kleidete mich trocken ein. Ach war das herrlich.
19 Uhr hatte es aufgehört zu regnen, die Sonne war sogar noch einmal herausgekommen und wir genossen den schönen Abend.
11. Wandertag 8 km
Donnerstag 19.6. Refuge de Petra Piana – Refuge de Manganu
Nachts wurde es trotz Zelt wieder so kalt, dass ich mein eigenes Zelt aus dem Beutel zog und mich damit zudeckte. Jetzt fror ich nicht mehr. So hatte die Leiherei auf einmal großen Sinn gemacht.
5 Uhr aufgestanden und sofort gepackt. Schlimm war, dass ich in der Kälte die nassen Sachen anziehen musste. Als Frühstück esse ich nur 2 Bounties und sehe zu, so schnell wie möglich wegzukommen, denn es machte die Runde, dass es heute Nachmittag wieder regnen sollte. Da diese Etappe wohl auch sehr anspruchsvoll sein würde mit gehörigen Kletterstellen und Schneepassagen, war es dringend angeraten, sich so früh wie möglich auf den Weg zu machen.
Gleich hinter der Piana Hütte ging es erst mal steinig knapp 400 m zum Muzella Pass, 2206 m, hinauf. Schon bald stellte ich fest, dass eine wahre Völkerwanderung unterwegs war. Leider begann eine fast wettkampfmäßige Rennerei auf den Pass. Jeder wollte jeden überholen. Natürlich machte ich den Rummel nicht mit, aber ganz entziehen konnte ich mich auch nicht.
Auf dem Muzella Pass kam dann die Belohnung. Ein wunderschöner klarer Morgen mit guter Sicht in die Rotondo Berge belohnte uns. Die schrägen Strahlen der Morgensonne ließen die Felsen wieder mal typisch rot aufleuchten.
Nur kalt war es und die Schneepassagen waren vereist.
Mit äußerster Vorsicht tasteten wir uns über ein total vereistes abfallendes Schneefeld zum Rinoso-Pass. Wie ein Zirkus erhoben sich vor uns bizarre Felssäulen. Ein herrliches Panorama, dass die Mühen und Gefahren kurz vergessen ließ.
Auf dem Rinoso Pass hatte sich eine Gruppe älterer Wanderer angesammelt. Ein älterer Herr verteilte an jeden einen Schluck heißen Kaffee aus seiner Thermoskanne. Diesen Schluck genoss ich mit tiefstem Behagen und spürte auch sofort, wie außerordentlich wohl er mir tat. Manchmal musste man im 1. bis 2. Grad kraxeln, mit Rucksack nie ein Vergnügen. Noch gefährlicher war der Firnschnee, der im Schatten vereist war, aber in der Sonne schnell sulzig wurde. Die Gefahr war real, den Hang hinunter zurutschen. Viele Wanderer taten sich schwer und eine Frau weinte sogar mit dem Hinweis, sie sei keine Schifahrerin und habe keine Erfahrung mit Schnee. Wir nahmen sie in die Mitte.
Ein Höhepunkt des heutigen Tages war die Breche du Capitellu. Man sah durch diesen Felseneinschnit auf den Capitellu See. Eigentlich ging es jetzt zur Manganu Hütte nur noch bergab. Aber dieser Abstieg hatte es in sich. Es ging über anstrengende Steinfelder, tückische Firnhänge, von denen man nicht wusste, wie dick sie waren und ob unter ihnen Wasser zur Höhlenbildung geführt hatte. Und außerdem immer wieder Kletterstellen, die viel Zeit raubten.
Ich schob schnell eine Rittersport mit Nüssen rein und weiter ging es fast ohne Pause. Denn mittlerweile waren bedrohliche Wolken aufgezogen. Ich kannte diese dunklen Ballen, die plötzlich einen nahen Gipfel völlig einhüllten. Ich beeilte mich so gut es ging und tatsächlich 12.15 Uhr erreichte ich die Manganu Hütte.
Ohne zu zögern nahm ich mir wieder ein Wurfzelt. Diesmal fiel es kleiner aus. Es war egal, Hauptsache ich konnte mich sicher in das Zelt legen. Gegen 1 Uhr mittags schlief ich tatsächlich ein, wurde aber 13.30 Uhr durch einen schrecklich lauten Knall unsanft geweckt. Und dann war die Hölle los. Ein starkes Gewitter mit wolkenbrachartigem Regen brach los und tobte fast eine Stunde über dem Talkessel. Mein Zelt hielt dicht. Gegen 16 Uhr hörte es dann auf und ich jubelte, denn ich war trocken geblieben und hatte im Schlafsack von der Kälte nichts gespürt.
Bis zum abendlichen Menü spazierte ich wohlgelaunt zwischen den Zelten herum und freute mich, dass alles so gut geklappt hatte.
12. Wandertag 16 km
Freitag 20.6. Refuge de Manganu – Castell de Vergio
Den heutigen Streckenabschnitt bis Castell de Vergio beschreibt der Wanderführer als leichte Bergwanderung, die zum Teil über große Steine geht. Hatte ich im Stillen geplant, über Castell de Vergio hinaus weiter zu wandern, so wurde mir schon kurz hinter der Manganu Hütte klar, dass ich heute mit den 16 km mehr als zufrieden sein konnte.
Es war ein wunderschöner Morgen. Die Luft war glasklar aber empfindlich kalt, sodass ich Handschuhe anziehen musste. Der Weg war erst sehr steinig, wurde aber besser begehbar, je mehr ich mich der Bergerie Vaccaghia näherte. Als ich die Bergerie erreichte bestellte ich mir ein Frühstück. Der heiße Kaffee, die Ruhe und der friedliche Blick über die weite grüne Weidelandschaft bis zum Rotondo Massiv taten mir gut.
7.30 Uhr fühlte ich mich gestärkt und brach wieder auf. Die meisten Wanderer der Manganu Hütte waren schon vorbei gezogen.
Es ging dann auf gut ausgetretenen Wegen durch steinige Landschaft mit viel Erlengestrüpp und teilweise imposanten Bäumen weiter bis zum malerischen Nino See, der auf einer Höhe von 1743 m in einer erstaunlich glatten Hochebene liegt.
Der Himmel strahlte tiefblau, nicht durch das geringste Wölkchen getrübt und ebenso tiefblau leuchtete auch der See. In der Ferne war die Kette der zum Teil schneebedeckten Gipfel Korsikas zu sehen. Ich hätte meinen können, in der Sierra Nevada zu sein.
Nach dem Reta- Pass ging es ein Stück hinab in die Serra San Thomaghiu. Der Weg war technisch nicht schwer aber dennoch ziemlich anstrengend. Das mag auch an der aufkommenden Mittagshitze gelegen haben.
Der Abstieg vom Col San Pedru war sehr abwechslungsreich. Immer mit schöner Sicht wand sich der GR 20 über freie oder licht bewaldete Hänge in die Tiefe. Auch auf Pferden und Eseln wurde hier der Pass erklommen.
13.15 Uhr stand ich auf der Passstraße vor dem Hotel Castell de Vergio und fragte nach einem Bett oder Leihzelt. Trotz der frühen Zeit war alles ausgebucht. Also blieb mir nichts anderes übrig als mein Zelt auf der großen Wiese nahe einer kleinen Kiefernbaumgruppe aufzubauen. Ich entschied mich für diesen Standort deswegen, weil ich meinen Packsack mit Essen in einem Baum aufhängen wollte. Ein Wanderer hatte mir einmal erzählt, er habe hier mit einem Fuchs gekämpft, der seinen Essbeutel zwischen den Zähnen nicht loslassen wollte.
Nun hatte ich herrlich Zeit und genoss das auch. Im Hotel bestellte ich für den Abend den Plat du jour für 14 EUR. Ich bekam Entrecote mit Bratkartoffeln und Ratatui. Es schmeckte sehr gut und reichte mir auch.
Nach dem Essen lief ich die Straße hinauf und beobachtete den Sonnenuntergang, dann schlüpfte ich in mein Zelt zur Nachtruhe.
13. Wandertag 14 km
Sonnabend 21.6. Castell de Vergio – Refuge Tighiettu
Schon gestern Nachmittag hatte ich mich entschlossen, heute bis zur Tighiettu Hütte zu wandern, also laut Wanderführer 2 Etappen auf einmal. Deshalb musste ich so schnell wie möglich aufbrechen. 5 Uhr packte ich, 5.45 Uhr lief ich bereits auf der Straße Richtung Col de Vergio.
Es ging erst auf steinigem Pfad den bewaldeten Hang entlang.
Kurz nach 7 Uhr trat ich aus dem Wald in felsiges Gelände, dass schwierig zu belaufen war. Der GR 20 schlängelte sich kaum sichtbar durch die Gesteinsbrocken und gelangte bald in ein mit Gesteinsbrocken übersätes Hochtal, das mir den Eindruck von absoluter Landschaft vermittelte.
Zu diesem Eindruck trug auch der Paglia Orba, 2525 m, bei, der sich majestätisch am Ende des Einschnittes über das Tal erhob.
Am Ende des Tales steigt der GR 20 auf einem rot geschotterten Weg ermüdend in die Höhe. Die Sonne brennt unbarmherzig. Aber ich bin gut drauf und kann den langen Anstieg bis zur Ciuttulu di i Mori Hütte gut bewältigen.
10.20 Uhr erreichte ich die Hütte, bekam dort aber leider kein Brot, sodass ich mich nicht lange aufhielt und 11.20 Uhr wieder aufbrach.
Als ich die Bergerie Ballone kurz vor 15.30 Uhr endlich erreichte, legte ich eine Pause ein. Es war um die Hütte herum sehr schön, sodass ich einen kurzen Augenblick erwog, hier zu übernachten. Aber ich machte mir klar, dass morgen die Königsetappe des GR 20 zu bewältigen war. Zu dem Höhenunterschied von fast 1000 m kämen dann noch einmal 200 m Anstieg hinzu.
Also raffte ich mich noch einmal auf und stieg in glühender Hitze die 200 m zur Tighiettu Hütte hinauf. Fast eine Stunde hatte ich gebraucht. Nun hatte ich beim Anstieg schon gesehen, dass es um die Tighiettu Hütte herum vor Zelten nur wimmelte. Ich ging zum Hüttenwirt und als ich nach einem Bett fragte, prustete er gleich los und sagte, hier sei alles besetzt, ich solle doch zur Bergerie Ballone runter gehen, da könnte ich noch eine Unterkunft bekommen. Ich warf ein, dass ich ein Zelt habe und mir im Gelände einen Platz suchen könne. Da ist nichts mehr frei, jeder Platz sei belegt, sagte er harsch. Ich war konsterniert. Wieder hinunterlaufen, wo ich mich mühsam hinauf gequält hatte. Niemals, nein niemals, sagte ich zu mir.
Ich legte meinen Rucksack vor der Hütte ab und fing an zwischen Felsen und Geröll eine freie Stelle zu suchen. Und tatsächlich, ich entdeckte halb unter einem dicken Felsbrocken eine kleine ebene Stelle, auf die zwar mein Zelt nicht passte, die mir aber für ein Lager unter freiem Himmel völlig ausreichte. Dann ging ich wieder zum Hüttenwirt und sagte ihm, dass ich für heute Abend ein Menü bestellen möchte. Er schaute mich groß an und fragte, hast du was gefunden? Ja, eine kleine freie Stelle. Macht 7 Euro, sagte er ungerührt, als hätte er mich vorhin nicht mit aller Gewalt wieder wegjagen wollen. Ach so, Menü gibt es nicht, beschied er mich geschäftsmäßig.
Ich war leicht deprimiert. An meiner Lagerstatt aß ich kleine Früchte in Sirup und trank ein Pietra Bier. Klar gegen 20 Uhr hatte ich richtig Hunger, im Angesicht der morgen zu erwartenden Strapazen kein gutes Zeichen.
Schon bald wickelte ich mich in meinen Schlafsack. Vor dem Wind musste ich mich in Acht nehmen. Ansonsten störte mich nichts und ich schlief schnell und tief ein.
14. Wandertag 6 km
Sonntag 22.6 Refuge Tighiettu – Haut - Asco
Es war eine klare, doch nicht kalte Nacht. Längere Zeit lag ich wach und sah das Band der Milchstraße in seltener Deutlichkeit. Gut ausgeruht stand ich 5.30 Uhr auf, stopfte mir ein dickes Müsli hinein und schulterte eine Stunde später meinen Rucksack. Am Hang wimmelte es wie in einem Ameisenhaufen. Fast alle Leute packten gleichzeitig Zelt und Habe zusammen und hatten keinen anderen Gedanken als diese schwierige Etappe so früh wie möglich anzugehen, vor allem wegen des Cirque de la Solitude.
Die erste Zäsur war der 550 m Aufstieg zum Minuta Pass, bei dem immer wieder leichte Kletterstellen bis zum 2. Grad auftauchten, die mit unterschiedlichem Tempo und Krafteinsatz überwunden werden mussten.
Gegen 8.30 erreichte ich den noch im Schatten liegenden Minuta Pass. Große Freude, phantastische Sicht. Aber ich war nicht der einzige. Es wurde gegessen, fotografiert und Meinungen ausgetauscht. Als ich auf der anderen Seite des Passes den Abstieg durch steilen Fels mit den Augen verfolgte wurde mir klar, dass man hier besonders aufpassen musste. Ausrutschen oder womöglich mit dem Rucksack das Gleichgewicht verlieren, könnten tödlich sein. Bei aller Gefährlichkeit war ich von der zerklüfteten Felsenlandschaft fasziniert. Der Punta Minuta schien richtig von Innen ein wenig zu leuchten.
8.45 Uhr machte ich mich an den Abstieg in den Cirque de la Solitude. Es war sehr steil und ging auch über vereiste Firnfelder hinab, in die Stufen getreten waren, als der Schnee noch sulzig war. Zu fotografieren wagte ich erst, als ich auf festem Fels stand.
Gegen 9.30 stieg ich auf dem steilsten Stück des Cirque de la Solitude, teilweise auf glatten Felsplatten, die oft auch nass waren, hinab. Manche Kletterabschnitte sind mit Ketten und Leitern gesichert, obwohl die Art und Weise der Sicherung nicht unseren Standards am Klettersteig entsprechen. Die schwere eiskalte Kette in den Händen, ließ sich einer nach dem anderen das Granitgestein hinunter. Hier war der Cirque de la Solitude finster, nass und fast unheimlich.
Es gab auch genügend Felspassagen bis 2. Grad, die ohne Sicherung geklettert werden mussten.
Hatte man die Schlucht überwunden, ging es auf der anderen Seite wieder hinauf, jetzt zum Tumasginesca Pass, 2183 m. Dieser 250 m Anstieg über rutschigen Schotter und glatte Platten war auch wieder sehr steil und kräftezehrend. Ich war auf das Äußerste konzentriert und trotzdem passierte es, dass ich mit einem Fuß in einer Spalte stecken blieb. Meinen Rucksack konnte ich in der vertrackten Lage nicht abwerfen. Da kam mir ein junger Mann zu Hilfe und mit vereinten Kräften konnten wir den Fuß befreien. Es war verrückt. Wäre ich jetzt allein gewesen, hätte ich ein Problem gehabt.
Ich war noch vor 12 Uhr auf dem Tumasginesca Pass. Hier löste sich allgemein die Spannung. Das schlimmste war überwunden. Hier wurde ausgiebig fotografiert, getrunken und gegessen.
Auch wenn die Freude über das erreichte noch so groß war, so ganz waren wir noch nicht aus der Gefahrenzone. Nun ging es nämlich einen steilen Firnhang hinunter, der aber Gott sei Dank nicht mehr vereist war. Trotzdem musste man gut aufpassen und konnte nicht einfach in die Tiefe rutschen.
Viele Wanderer verließen den Firnhang, um über Steine und Schotter bergab zu gehen. Ich jedoch nutzte den Schnee, um mit großen Schritten hinab zu „fliegen.“ Als ich dann wieder auf den GR 20 zurück ging, wunderte ich mich, dass ich allein war. Aber ein Paar eilte mit langen Schritten von hinten auf mich zu und fragte erstaunt: Sind sie auf dem Schnee runter gegangen? Wir haben nämlich gesehen, dass Sie immer hinter uns waren und nun plötzlich sind Sie vor uns. Diese Tatsache schien für sie unfassbar zu sein. Ich ließ sie schnell an mir vorbei ziehen.
Der Abstieg nach Haut Asco auf steilen Schotterwegen war langwierig und anstrengend.
14 Uhr betrat ich die Gite d´etape Haute Asco. Die Wirtin wollte mich als Wanderer nicht anerkennen und forderte mich auf, ein Zimmer im benachbarten Hotel zu nehmen. Ich mahnte sie energisch, nicht an meinen Worten zu zweifeln und forderte sie auf, mir ein Zelt zur Miete zu geben. Sie: Warum, haben Sie kein eigenes Zelt? Doch, das habe ich. Ja, warum nehmen Sie es nicht? Weil ich zu müde bin, es aufzubauen, entgegnete ich. Nun zeigte mir die Dame das Zelt, worin ich übernachten könnte.
In dem benachbarten Restaurant traf ich die netten französischen Bekannten. Wann ich losgegangen sei und wann ich angekommen wäre und sie hätten sich Zeit genommen und etwas gesehen. 14 Uhr wäre ja sehr schnell, sie seien erst 17 Uhr hier angekommen. Ja, Hauptsache ihr seid zufrieden, entgegnete ich auf alles.
Wenig später bestellte ich ein Menü für 20 EUR. 19.15 Uhr war das Restaurant brechend voll. Trotzdem bekamen wir als einer der Ersten eine Gemüse- Suppe auf unseren Tisch. Der letzte Gang des Menüs, ein wohlschmeckender Schokoladenpudding, wurde uns 21.50 Uhr hingestellt.
Mein Tischnachbar meinte nur, das wäre immer so, wenn große Gruppen bevorzugt bedient würden.
Nach dem Essen verkroch ich mich sofort im Zelt und suchte den Schlaf.
15. Wandertag 7 km
Montag 23.6. Haut Asco – Refuge de Carozzu
Schon als ich 5.15 Uhr aufwachte, spürte ich sofort, dass ich mich von der Anstrengung des gestrigen Tages nicht erholt hatte. Ich mixte mir ein besonders reichhaltiges Müsli, um auf diese Weise Kraft zu tanken. Doch als ich 6.30 Uhr in den Berg stieg, ging es so steil den Hang hinauf, dass ich alle 100 Meter eine Pause einlegte.
Erst in dem felsigen Hang zum Muvrella Pass hinauf fand ich wieder meinen Rhythmus. Ich musste über viele glatte Felsen klettern, manchmal halfen Verschneidungen im Granit, manchmal auch Risse und Spalten.
9 Uhr erreichte ich erleichtert und tief zufrieden den Muvrella Pass. Ich war, wie fast auf allen Pässen nicht allein und suchte mir eine ruhige Ecke, um mich auszuruhen und schnell eine Tafel Schokolade zu essen.
Das Wetter gefiel mir nicht. Es war fast windstill, ziemlich bedeckt und seltsam warm. Es drohte zu regnen. Ein Alptraum, denn der Weg führte über große Steinfelder und schräge Felsplatten. So entschied ich mich dafür, schon bald wieder aufzubrechen.
Der Abstieg erforderte volle Konzentration. Über grobe Felsbrocken, nur ab und zu unterbrochen von kleinen Schneefeldern ging es steil hinab. Ich fühlte, dass Eile geboten war und lief zügig und ohne Rast durch die Schotterhänge. Als ich dann über die Felsplatten musste, geschah, was ich die ganze Zeit schon befürchtet hatte, es fing an zu regnen. Die Platten wurden stellenweise glatt. Mit äußerster Vorsicht tastete ich mich voran.
Später im Tal des Spasimata hatte man stellenweise Sicherungsseile angebracht, aufpassen musste man trotzdem. Als ich dann kurz vor 14 Uhr die Hängebrücke sah, wusste ich, dass es bis zur Carozzu Hütte nicht mehr weit war. Das war insofern ein großer Trost, weil es mittlerweile stark regnete und stürmte.
Noch vor 15 Uhr erreichte ich die Carozzu Hütte , allerdings mit dem unschönen Gedanken, hier bei Regen und Sturm mein Zelt aufbauen zu müssen. Die Hütte selbst ist ziemlich klein und wahrscheinlich bis zum letzten Bett ausgebucht. Obwohl ich nicht daran glaubte hier ein Bett zu bekommen, fragte ich die Wirtin dennoch danach. Oh unglaubliches Wunder, sie sagte, sie habe noch ein Bett. Ich solle meinen Rucksack ablegen und die Schuhe ausziehen, dann wolle sie es mir zeigen. Sie ging in einen Schlafraum, der von Menschen wimmelte. Kein Wunder, denn hier waren die Betten 3 stöckig angeordnet. Sie wies mir eine schmale Matte im 2. Stock des Etagenbettes zu. Ich war gerührt.
Gegen 5 Uhr nachmittags hatte es aufgehört zu regnen und es schien die Sonne. Ich gesellte mich zu den Franzosen und wir unterhielten uns über das Wandern auf dem GR 20 und was jeder sonst noch so macht. Eine Französin hörte zu und zeichnete, sagte aber nichts. Ich war neugierig und schaute ihre Zeichnungen an. Alles was sie hörte und sah, setzte sie mit Buntstiften in naive Bilder um.
18 Uhr gab es das gemeinschaftliche Essen. Es war so etwas wie der soziale Höhepunkt des Tages.
Nach dem Essen wurde es ruhig in der Hütte.
Einige unterhielten sich, andere schrieben ihr Tagebuch und wieder andere, so wie ich, versuchten die abendliche Stimmung in den Bergen zu fotografieren und das mit einem Sonnenuntergang als krönendem Abschluss.
16. Wandertag 15 km
Dienstag 24.6. Refuge de Carozzu – Calenzana
Die Nacht war schrecklich. Schon gegen 22 Uhr wachte ich auf, weil es in dem Raum unerträglich heiß war. Ich lag noch quälend lange wach. Da hatte ich eine entscheidende Idee. Statt zur Piobbu Hütte zu wandern, wo es wieder über regennasse Felsplatten gehen würde, könnte ich über die Bonifatu Hütte nach Calenzana wandern. Denn für Morgen war wieder Regen angesagt und der gefährlichen Balanzierei auf dem schrägen Granit wollte ich unbedingt aus dem Wege gehen. Auch hätte ich dann die Gelegenheit die große Hängebrücke zu sehen, eines der Wahrzeichen Korsikas.
5 Uhr allgemeines Aufstehen und 6.30 Uhr ohne Frühstück Richtung Bonifatu aufgebrochen. Im Gegensatz zu den Wanderungen der letzten Tage, ging es diesmal bergab, wenn auch auf ziemlich verblocktem Weg.
Schon kurze Zeit später kam ich an der berühmten Hängebrücke vorbei. Sie sah nicht viel anders aus, als all die anderen, die ich vorher gesehen hatte und auch die umgebende Landschaft war nicht so aufregend. Sei es drum, ich hatte sie gesehen.
9 Uhr traf ich in Bonifatu ein und betrat das kleine Restaurant. Hier wollte ich erst mal gut frühstücken und es vor allem genießen, dass es heute mein letzter Wandertag war. Zwar hatte ich noch 12 km Weg auf staubigen Pisten meist ohne Schatten und Wasser vor mir, aber ich freute mich unbändig, nun wieder in die Zivilisation zurückzukehren.
Die nette Wirtin brachte mir jetzt eine große Tasse Kaffee und ein großes Sandwich mit gekochtem Schinken. Das Gefühl den Weg bewältigt zu haben und die große Ruhe um mich herum waren einfach wunderbar. So erholte ich mich schnell und drängte, wieder weiter zu wandern.
Erst ging es auf asphaltierter Straße, dann im Bachbett des Figarella und anschließend auf breitem staubigen Fahrweg emtlang Richtung Calenzana. Die Sonne brannte unbarmherzig, Schatten gab es auch kaum und auf Quellen durfte man nicht angewiesen sein. Ich schritt kräftig aus, ging auch mühelos zum Corsu Pass, 586 m, hinauf.
Als ich dann auf einer trockenen Hochebene die Kirche von Calenza und in weiter Ferne auch das Meer sah, erwuchsen mir Flügel und ich flog schier hinunter in die kleine Stadt, die am Beginn oder am Ende der Wanderung auf dem GR 20 durch Korsika stand.
In der Stadt war es heiß. Zum Mittagessen zu gehen, dafür war es zu spät. Also suchte ich die Bushaltestelle auf, von wo aus ich vielleicht nach Calvi fahren könnte, um von dort aus den Zug nach Tattone zu nehmen. Auch zwei Tschechen, Großvater und Enkelin, warteten auf den 15 Uhr Bus.
Die junge Dame machte ein Foto von mir vor der Kirche von Calenzana. Ich äußerte dann meine Zweifel, ob der Bus fährt. Der Bus fuhr tatsächlich nicht. Also fragte ich einen Taxifahrer wieviel es bis zum Bahnhof Rallantir für 3 Personen kosten würde. 30 EUR. Das war auch für die Tschechen ok und ruckzuck standen wir am Bahnhof, einer Bedarfshaltestelle, und mussten auch nur 10 Minuten auf den Zug nach Bastia warten.
16.04 Uhr lief er ein. Es war kein richtiger Zug, sondern nur ein Triebwagen, der zweimal am Tag die Verbindung Bastia-Calvi bediente. Ich löste ein Fahrkarte nach Tattone, wobei ich in Ponte Leccia umsteigen musste. Die beiden Tschechen fuhren eine Station weiter nach Vizzavona und wollten hier ihre Wanderung auf dem GR 20 nach Calenzana beginnen.
Kaum hatte ich einen Platz gefunden und es mir bequem gemacht, da sprach mich ein junger Mann an, dem ich schon in Manganu begegnet war. Ich konnte mich nicht erinnern, aber er hatte mich auf Grund meines Regenschirmes gleich wiedererkannt. Bis Ponte Leccia unterhielten wir uns angeregt über die Wanderung und auch über seine Arbeit.
Schließlich stand ich kurz vor 20 Uhr auf dem Bahnhof in Tattone. Ich wanderte zum Refuge Chez Pietro und als sie mich sahen gab es ein freudiges Wiedersehen. Spät am Abend, ich hatte schon im „Chalet“ gegrilltes Fleisch mit Pommes gegessen, bestellte ich noch eine Karaffe Rotwein. Es war schon dunkel und ich saß immer noch auf der Bank im Freien. Die ganze Wanderung ging mir durch den Kopf. Die Menschen, der Trubel, die Herausforderungen, die Zwänge, die Sorgen und die Eile, aber auch die phantastischen Berge, der Pfad, der sich harmlos durch malerische Landschaft aber auch gefährlichen Fels hinauf und hinunter schlängelte, die wunderschönen Fernsichten in das korsische Hochland und bis zu den Meeresküsten hinunter. Das alles stand vor mir auf und mit ihm ebenso sowohl die Freude des Wanderns als auch die Leiden und Strapazen. Es kam mir vor wie ein großer Rausch und heute abend saß ich allein unter dem Sternenhimmel genoss die Ruhe und fand endlich auch wieder einmal zu mir selbst.
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